„Das Ausmaß der Gewalt ist teilweise erschreckend“

Mediatorin bietet Sozialkompetenz-Training an Grundschulen an —
Häufig scheitert das Projekt am Geld – 30.05.11

Nürnberg  – Mobbing, Schulstress, Gewalt: Schon an den Grundschulen klagen Lehrer und Schüler zunehmend über Probleme im sozialen Miteinander.

Die Nürnberger Erzieherin und Mediatorin Andrea Hörchner bietet Zweit- bis Viertklässlern deshalb ein Sozialkompetenz-Training an

Frau Hörchner, eine solche Schulung schon für Sieben- und Achtjährige — ist das denn wirklich nötig?

Andrea Hörchner: Leider ja. In jeder Klasse, die ich besuche, finde ich mindestens vier bis fünf Kinder, deren Sozialverhalten äußerst auffällig ist. Dahinter stecken oft tiefgreifende Probleme wie zum Beispiel Mobbing, die ein kleines Kinderherz belasten. Die einen reagieren da mit Rückzug, andere mit Gewalt. Und liebe, schüchterne Mädchen sind genauso betroffen wie draufgängerische Jungs.

Und dann geht es rund im Klassenzimmer?

Hörchner: Das Ausmaß der Gewalt ist manchmal erschreckend. Ich habe schon vor 20 Jahren mit — wie es damals hieß — schwererziehbaren Jugendlichen gearbeitet. Das, was damals diese Teenager machten, ist jetzt an den Grundschulen angekommen. Teilweise geht es äußerst brutal zu, so hat zum Beispiel ein Kind ein anderes mit einem abgebrochenen Flaschenhals an der Halsschlagader bedroht. Das sind natürlich Einzelfälle, aber der Trend ist da.

Was sind die Ursachen dieser Entwicklung?

Hörchner: Immer mehr Eltern sind mit der Erziehung offenbar überfordert. Nur ein Beispiel: Ein Kind hat eine Schlägerei angezettelt, dessen Vater verteidigt seinen Sohn und bedroht das Opfer. Solche Probleme sind in sogenannten Brennpunkt-Schulen größer, aber auch in eher bürgerlichen Vierteln gibt es Handlungsbedarf. Die Kinder sind oft sich selbst überlassen, schauen viel zu viel Fernsehen. Vielen fehlen grundlegende Kompetenzen im Sozialverhalten. Weil ihre Eltern ihnen keine Grenzen gesetzt haben, haben sie gelernt, dass es sich lohnt
zu revoltieren. Etliche Mütter und Väter denken tatsächlich, dass sie sich unbeliebt machen, wenn sie ihren Kindern Grenzen setzen.

Und Ihr Konzept kann helfen?

Hörchner: Ja, das bestätigen die Rückmeldungen der Lehrer. Das Training besteht aus vier Einheiten, jede davon umfasst vier bis fünf Schulstunden. Hinzu kommen eine Fortbildung für die Lehrer und auf Wunsch auch ein Elternabend. Den Kindern gebe ich in erster Linie das Handwerkszeug mit, um Konflikte friedlich zu lösen. Es geht darum, Empathie zu lernen, eigene Gefühle zu spüren und die der anderen nachzuvollziehen. Was mache ich, wenn ich wütend bin? Wie kann man Toleranz üben? Solche Fragen behandeln wir im Rollenspiel an konkret erlebten Konflikten der Kinder.

Aber durch ein paar Übungen ändern sich doch nicht gleich alte Verhaltensmuster?

Hörchner: Ich begleite die Klasse ja über einen Zeitraum von vier Wochen hinweg, da bleibt viel Zeit, das Erlernte im Unterricht einzuüben. Wir beobachten, dass die Kinder sich im Pausenhof anders verhalten, und auch von zu Hause kommen positive Rückmeldungen. Die Kinder merken schnell, dass sie ganz viel erreichen können, wenn sie mit Konflikten anders umgehen, über die eigenen Gefühle sprechen und höflich sind. Manche Grundschulen habe ich schon komplett geschult.

Also müsste so ein Angebot eigentlich im Lehrplan verankert sein?

Hörchner: Das wäre schön, aber es scheitert an der Finanzierung. Gerade an Brennpunktschulen fehlt das Geld dafür, obwohl die Kosten von vier Euro pro Kind und Modul nicht hoch sind. Es wäre toll, wenn dafür ein Posten im Schuletat vorhanden wäre oder sich ein Sponsor fände. Das Beispiel mit dem Flaschenhals zeigt ja, wie die Lage ist. Eigentlich müsste noch viel mehr passieren. An jede Grundschule gehören in meinen Augen Erzieher oder Sozialpädagogen.

Quelle: Nürnberger Nachrichten am 30.5.2011